Alter, das war so: ich so hin mit dem Auto, das kackt schon halber ab, ich quietsch irgendwie mit halbhieen Bremsen vorm Komm herum, spring raus, während es so fast explodiert, schnapp mein Notizbuch gerade noch so, während die Flammen nach mir greifen, dann so am brennenden Reifen (#binnenreimftw) eine Zigarette angesteckt, losschlurfen, nicht umdrehen, cool guys don’t look at explosions und dann fängt der Film erst los mit einem überambitionierten Bird, der alles kaputthüpft heute. Ich denk so: ich bin im falschen Film, Aller. Grad noch Bruce Willis, jetzt schon John Waters? Alle hängen herum und staunen sich die Augen raus. Und, mein lieber Scholli, sie werden nicht enttäuscht, denn heut Abend wird es alles geben: einen sich im Saal herumbeamenden Chor, einen kaputten Beamer (Koinzidenz? Ich glaube nicht!) und einen Hawaiihemdenunfall. Und Bier. Und Hifi-Scifi.
Also, Theo und ich sitzen so da. Theo, der Lauser, sagt so zu mir: „Mir grausts etzad scho.“. Und dann so: der Egers kommt rein! Durch die Trümmer dessen, was vor Birdies Hüpfattacke eine Bühne war, bahnt er sich einen Weg. Er sagt so was schwarzeneggerhaftes wie: „Dis is de Artverwandtenschau.“ und holt die Carmen herein, die natürlich, eingedenk der Leistung Fritz Langs, einen auf Maschinenfrau macht. Sie so: „Der Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein.“ Knaller. Plötzlich fliegt mit einem Sausen und Blasen ein Chor herein mithilfe einer Vorrichtung aus dem Startrek-Universum. Er ist nicht zu sehen, denn er schwebt über den Leuten. Und alle so: woooooot? Aber sie haben keine Angst, denn der Chor der Ungläubigen (ziemlich sicher eine Anspielung auf die Glaubenskriege im Nahen Osten. Na, wenn das die AfD mitbekommt, dann ist aber Polen offen. Obwohl: darf man das noch sagen heutzutage? Oder kriegt man da gleich eine private Twitternachricht von Erika Steinbach? Aber nein, man ist ja nicht friends mit der Jane Fonda der Asexualität.) singt wie eine schreinerhandvoll Engel und wer an Engel unglaubt, der soll im Höllenfeuer des Paganismus halbgar werden.
Dann gibt es eine irre Sinnestäuschung. Wer da war, weiß, was jetzt kommt. Genau: diese Pappmachéalte, die sprechen konnte. Aber, Vorsicht: Spoiler-Alarm, ich konnte herausfinden, dass das eine gewiefte Technik war, die von der Frau getätigt wurde, die wo hinter der Pappfrau stand und lief. Ich bin mir jedoch fast sicher, dass das keiner gemerkt hat, denn die Täuschung war meisterhaft ausgeführt gewesen gewest. Drum: Hutab!
Dann kommt der Dominik Undbauer auf die Bühne, ein halbierter Mann. Leider geht er gleich wieder weg, denn der Beamer ist zerbrochen beim Tanzen. Ein Ersatzbeamer wird gefunden. Der wirft sich in die Kugel, die der Bird abgefeuert hat. Der Gute. Dann kommt Herr Moll und liest aus Facebook vor und dann ist auch schon fast rum. Es gibt noch eine Bierbuchvorstellung und nur der Moderator darf saufen. Das ist schon ungerecht, drum geht man heim, um es ihm gleichzutun. Jeder für sich, in der eigenen Stube. So, wie es sein soll.
Das war es ziemlich. Ach, bis auf: dann so, der Ahmed aus Gostenhof kommt rein: er macht heute einen auf Mischung aus T-Rex und Gamora und hat ein Hawaiihemd an. Alle schreien. Und er so: Uuuaaahh! und dann ballern die Apache-Helis mit atomaren Waffen auf ihn. Aber er ist zu stark. Und dann kommt Obama so rein und opfert sich für die Menschheit und steigt so in ein Uboot und fährts ihm gegens Schienbein. THE END!
Erwartungen liegen wie ein roter Teppich auf den Treppen im altehrwürdigen Komm am 12. April, einem hoffnungsfrohen Frühlingsdienstag. Allesamt erwarten wir etwas voneinander: mit offenen Mündern Zuhörende, Singende und Sprechende. Gleich vorneweg: Das Glück der Erfüllung kannte weder Maß noch Zahl, auch nach Zigtrilliarden Shows ist die Artverwandten-Kiste immer für einen Höhepunkt gut. Grund: der Egers halt.
Zum Auftakt beim Spaziergang durchs zahlreich hingefläzte Volk hält er ein Frisurgericht, das sich „Sie“ schreibt. Das Programm dann musikalisch überbordend und angenehm aufdringlich: zur Frühjahrsoffensive fährt E. alles auf, was zur Show-Aristokratie zählt.
Bird Berlin verspottet sowohl Schwer- als auch Fliehkräfte, indem er, ein aus Glitzer geborener Hypertrophissimus, hummelrundig hüpft, gehüllt in elfenartigen Singsummsang. Zur höchsten Wonne auch diesmal lesend: das neueste Gedicht aus seinem Spezi-Zyklus.
Alle Seelen erquickend schüttet Großpoet und Überdichter Philipp Balthasar Moll ein Füllhörnchen aus, struppig am Kopfe wie ein Räuberlehrling und seine gesundheitlichen Nicklichkeiten lyrisch in den Boden stampfend. Traumhafte Buchstabenschupfen, so liebevoll zusammengewurstelt, als habe er seit dem Schöpfungstag rund um die – damals gar nicht existierende – Uhr daran gefeilt und zusammengepicht. Einzelne Laute wie Meisterwerke, Wörter wie komplette Köchelverzeichnisse, Sätze, die das Bayreuther Festspielhaus aussehen lassen wie den demolierten Mülleimer an einer Bushaltestelle. PBM macht leichtzüngig den nächsten Schritt auf sprachliche terra incognita und errichtet neue Verbalkolonien jenseits der Welt, so wie wir heute über sie sprechen können. Beispiel gefällig? „In asoziale Idiotie hineinvernachtet“ - zum Abschlecken schön!
Gankino Circus sind sowieso woanders her. Kein Mensch weiß, wessen Gesandte sie sind, uns Menschen auf diesem Planeten zu erfreuen, nur so viel ist klar: es handelt sich um eine der unseren absolut überlegene Zivilisation, kulturell fünf Lichtstockwerke höher angesiedelt, praktisch total irre. Der Geilheitsgrad der Musik lässt sich mit Vokabeln kaum beschreiben, die Ansagen sind kongenial und mindestens ebenwütig, wenn nicht außerirdisch. Tadellos gegart, wie ein Dietenhofener Katerfrühstücksei, die Pointen sauber
gebastelt und ohne unnützes Beiwerk abgefeuert. Ein Kleinod im Großod. Blumenherzen rieseln vom Festsaalhimmel. Birdi kann nicht anders, er muss sich darin wälzen.
M. Klaus Friedrich Egersdörfer lehnt sich heute weit heraus, aus seinem Spießerfenster und trägt total süße Supermann-Socken zum ewig selben grauen Langweiler-Anzug. Richtig frech sieht das aus, wie da unter einer trägen Schale ein spontaner Kern herausspitzt. Seine Bühnenpartnerin Carmen a.k.a. Claudia Schulz hingegen in der immer gleichen ödemvioletten Kotzbluse. Unverschämt wie stets, man wundert sich, wo der Meister E. diese unendlichen Mengen Geduld hernimmt, dass er ihr nicht augenblicklich auf der Bühne eine über die Rübe planierraupt. Sodom und Gomorrha, Promi-Sterben – und schon steckt das Ehepaar mittendrin in einem Experiment zum arg nahen Tode. Carmen hat noch nichts erreicht und will nicht sterben, Egersdörfer schifft ins Cabriolet, Dr. Söders heißer Samen wird verhandelt wie die Existenz an sich oder braune Streifen in einer niemals gewechselten Unterhose. Eine sagenhafte Nummer: Komedy rulez!
Stark kontrastierend erscheint eine finnische Dame zwischen all dem blinkenden Brimborium und Verhau der Gerätschaft. Nightbird alias Anna-Stina Jungerstam ist schnell aus Finnland herüber gejettet, um für uns zu singen. Das Raunen der skandinavischen Wälder weht herein: bezaubernder Nordlicht-Blues auf Moosteppich mit Schmerzen.
Meister Matthias Egersd. berichtet aus seiner Kindheit, über die Prinzen, die einst um seine Schwestern buhlten, und fährt üppige Wortbildmalerei auf: metallische Blumen und bebrillte Fische, ein Wüsten-Jeep und vielfarbige Prinzen, Haare so weich wie von einem Dackel – ein phantasmagorischer Starkorgasmus, dabei ist's nur die erste von sieben neuen Folgen vom Betthupferl für den bayrischen Rundfunk.
Ahmed: was soll man da sagen? Weinen möchte man vor Glück – wir erwarten alles und bekommen mehr. Preisträger in Berlin, Sultan von Gostenhof, dickster Schwiegertürke, der wo denkbar. Ein Wonnepickel zum Ausdrücken! Zu hoffen, dass er bald sein eigenes Lied schreibt: „Der Nahtod und meine Mutter“ verhunzt nach Herbert von Schubert.
Wir bleiben auf der Kirchweih und trollen uns ins Bierzelt, wo gerade der Binser die Bühne entert. Der ist blanke Oberpfalz, die so ist wie Finnland, nur noch ein wenig brutaler. Binser ideal mit Bier und Schnupftabak angefüllt, bezaubernd radebrechend in seinem vordertschechischen Sprachimitat, die Liedlein fachgerecht aus Reimen und Lustigkeit gestanzelt, nur einen winzigen Hauch vorhersehbar, dafür umso inbrünstiger geschrammelt. Und obwohl wir sie überhaupt nicht kennen, lieben und bedauern wir seine Mama aus ganzem Herzen. Ein so ein schlauer und fröhlicher und hübscher Bub!
Der gespielte Witz? Meine Herren! Fünfzehn Sekunden, die in einem Abgang sowie auch in eisig-mückenstummer Erstarrung des Publikums enden – und es wert gewesen wären, nicht nur drei, sondern dreihundert Stunden auf diesen Höhepunkt der Show hinzufiebern.
„Du bist wirklich die allerletzte ignorante, saublöde Saukuh. Dich hätte man einfach hinten anketten sollen, dann wär uns viel erspart geblieben.“
Abende, die mit solchen Worten beginnen, haben einen vielversprechenden Schatten, den vorauszuwerfen sie sich nicht zu schade sind. In den wenigen Zeilen, die mir für zum vollschreiben gestattet sind, versuche ich, die Beschaffenheit und (Meta-)Physik eines solchen Abends, wie zum Beispiel dieser eine da im März 2016, was der Monat war, in welchem auf Landtagsebene politische Umtriebe vonstattengingen, die wirklich gar nichts mehr mit Comedy zu tun hatten, zu ergründen.
Derohalben und weil es ja eh nix hilft, macht der Egers zum Einstieg einen auf Goebb… ich meine Höcke und plärrt etwas von Werteverfall und Islamgefahr und er lässt halt den Hassprediger raushängen. Matthias Egersdörfer, der dabei den Egers spielt, beherrscht dabei die Klaviatur des Dunkeldeutschtums wie kein anderer: er spielt ganz wunderbare Serenaden auf der dumpfen Blockflöte der Angst, begleitet nur von der Schnarrtrommel der Ignoranz. Er läuft rot an, die Halsschlagader steht hervor, sodass eine Bergziege sich da draufstellen könnte und nicht herunterfallen täte und der Speichel fliegt in kinderkopfgroßen Batzen den Leuten in die offenen Münder. Ein Egers ist natürlich nur halb so viel wert, wenn er auf der Bühne sich nicht abarbeiten kann am Unergründlichen der restmenschlichen Idiotie. Zu diesem Zweck steht ihm seine devote Bühnen-Alde und Watschenfrau Carmen bei, die unscheinbare Frau mit dem gewagten Paillettenshirt und einem Rock, der einen verbotenen Blick auf ihr Knie lenkt.
#ericrohmergefälltdas
Claudia Schulz spielt als Carmen die begeisterte Befürworterin der tollen Ideen ihres Egers und seine größte Unterstützerin. Da ihm wiederum missfällt, Beifall aus der Richtung von Leuten wie Carmen zu bekommen, kriegt sie dafür regelmäßig Androhungen körperlicher Gewalt und Aufforderungen zur Mäßigung an den blöden Kopf geworfen. Dies wird von ihr synergetisch in neue Akklamationen umgelenkt, was den Egers bis aufs Blut reizt und erneut dazu bringt, ihr den den gesamten Pschyrembel an den Hals zu wünschen. Kundige Ideenforscher könnten dies hier sicher in einem schönen und aufschlussreichen Diagramm darstellen, aber für Forschung fehlt hier die Zeit. Gottseidank. Nur so viel: Hermeneutik. Das muss langen.
Die Redundanz gegenseitiger Schützenhilfe und Impertinenz jedenfalls trägt zumal wunderbare Blüten, wenn Carmen durch vollständige Selbstverneinung und Egersbejahung ihm jegliche Grundlage enzieht, sie anzugreifen. Letztendlich macht es schließlich keine Freude, immer dem gleichen Kind eine Backpfeife zu geben. Man muss sich ja entwickeln und auch mal andere Kinder hauen, wenn mir dieses – zugegeben – etwas weithergeholte Bild behilflich sein darf. Ist dieser Punkt der totalen Selbsterniedrigung erreicht, sieht sich die, jetzt kaum noch devote, Carmen im Vorteil und schlägt rigoros zurück, indem sie, um in Wrestlersprache zu reden (kann man mal machen), den Egers an den Eiern (an seinem spießbürgerlichen Stolz) anpackt, ihn über ihren Kopf hebt (ihn auf Ungereimtheiten hinweist) und mit bloßen Händen vernichtet (intime Details aus seinem Leben ausplaudert), was natürlich ein großer Spaß ist. Das läuft meist recht ähnlich ab, ist aber immer amüsant und ermutigend. Warum, erklär ich im nächsten Absatz. Achtung, jetze:
Viele Besucher sagen: „Beim Egersdörfer ist man sich nicht sicher, ob man nun die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und weglaufen oder, starr vor Entsetzen, hockenbleiben und es sich so richtig mit Doppelkorn besorgen soll“ (Quelle: Dings). Aber das ist schon gut und richtig so. Man nennt das Kátharsis und das macht einen gesund im Kopf und das geht so: erst erkennt man sich, dann schämt man sich, dann kommt die Carmen und befreit einen. So funktioniert Theater und so funktioniert dieses Bühnenehepaar. Gut, dass wir sie haben. Alle beide.
In Nürnberg februarte und faschingte es in sinnlosem Durcheinander, als Matthias C.F. Egerdsörfer das Volk rief und anermahnte, zu kommen ins Komm, und siehe, sie kamen. Der Saal wohl gefüllt, die Leute vollgestopft mit Krapfen, manch einer sogar mit deren dreien auf Kosten seines braven Chefs, ein Nimmersatt, der sich himself herausgebacken, mit Hiffenmark gefüllt und in Puderzucker gehüllt gehörte, wie ansonsten nur Bird Berlin. Der freilich mit Glitzersternen noch und nöcher auf seiner Körperpolstermöbellandschaft. Zwei nicht ganz so gute Nachrichten waren schnell verdaut, denn anstelle des erkrankten Nils Heinrich und des verhinderten Dichtergottes P.B. Moll, leuchtfeuerten Götz Frittrang sowie das Duo „Familien-Duo“. Spielte Frau Duo auf der Geige schon wie eine Teufelin, die auf brennendem Besen übern Lavaschlund reitet, so fuhrwerkte Herr Duo in absolut felsenfester Brillanz auf einer Art Superatom-Akkordeon, das aus seinem dicken Kabel heraus sogar singen konnte. Die Duos gewannen eine Menge Herzen an diesem Abend!
Desgleichen Götz, der Frittrang. War ich zuvor noch ein wenig bange, da ich mit einem Fäkalbad untersten Parterres rechnete, so öffnete der furiose Pointen-Tsunami des Wahlbambergers mir die dummen Augen. Das war richtig, richtig gut – kaum ein ausgelutschter Scherzhirsch, sondern alles Springinsfelde so frisch als ob noch im letzten Moment vor dem Auftritt erlegt. Götz Frittrang, dessen lustige Schuppen zwischen den Zehen angeblich schon der kleine Egers-Bub mit Begeistertheit knabberte, knallte seine schwäbischen Trümpfe mit größter Grandezza auf die Bühnenbretter, dass es schepperte und qualmte. Ein kollektiv gebrülltes „Schapotz!“ hatte sich dieser Mann redlichst verdient.
Und als wäre das noch nicht genug, haute Gymmick so ziemlich alles, was sein innerer Raketenwerfer überhaupt hergibt, heraus: traurige Lieder, lustige Lieder und – eine Predigt wie ein Pfund Wurst. Gymmick bewies mit überwältigendem Effekt nicht nur, dass er lesen kann, sondern auch, dass er seinen eigenen Text meisterlich inszenieren kann. Dass es Gymmick obendrein versteht, den Pinguin als solchen, sowie den Brillenpinguin im Besonderen fachgerecht zu rupfen, zu teeren und zu federn sowie final zu penetrieren – das war für mich die zweite großherrliche Überraschung des Artverwandtentreffens.
Meister M. Egersdörfer ging hingegen mit sich selbst hart ins Gericht: Ekel und Widerwillen überkomme ihn wegen seiner einfallslosen Verkleidung – das ewig gleiche rote Hemd, der ewig alberne Anzug, die immer wenigeren Haare über das Oberstübchen geklatscht. Immerhin hatte er sich soweit im Griff, dass er Carmen ordentlich zusammenstauchte, die sich hilflos durch die tägliche Paranoia deklinierte, mit halluziniertem Flüchtlingsansturm hie und völlig außer Kontrolle geratenen Hobby-Faschisten a.k.a. „Bürgerwehren“ da. Die endzeithaftig bezaubernde Carmen ist natürlich die richtige Furche, in der all der hetzerische Stuss, der Tag und Nacht aus den Boulevardmedien BLÖD & Co. rieselt, keimen und prächtig sprießen kann. Ein heißes Thema, das freilich gegen Matthias E. und seine Gemahlin keine Chance hatte, wenngleich die Dramaturgie etwas defragmentiert wirkte und sich gewiss mit mehr Wechseln im Dialog noch mördermäßig aufpolieren ließe.
Wie viel der Egers drauf hat, müsste er nicht explizit demonstrieren – aber zum Glück für uns tat er's trotzdem und nahm uns auf eine Reise mit, weit zurück in die Zeit, als Väter noch rückwärts durch Vororte radelten und Bernhardiner über Zäune sprangen. „Big E“s Augen leuchteten, während er den frühkindlichen Zug durch die Gemeinde in die Trommelfelle der Zuschauer ziselierte. Wie auch den schlumpfblauen Himmel über dem Mann, dessen Sohn von unten nichts als eine gewaltige Nase erblicken kann. Bierfass, Musik und Tanz blieben am Ende etwas in der Luft hängen, als sei die sentimentale Erzählung noch weiter gegangen, doch wüssten nur die Eingeweihten, wie. Wir schüttelten die Köpfe und rieben unsere Augen – das hatte nichts mit Comedy zu tun! Und war schön wie ein Märchen ganz ohne Räuber, Hexe, Wolf und Hungertod.
Nicht vergessen werden darf der feinsinnige und distinguierte Ahmet Iscitürk, der grazil jede seichte Pfütze überhüpft, die sich zwischen ihm und dem 8-lagigen Klopapier auftun, das er bei amazon bestellt. Ahmet nimmt mindestens fünf mal die nächste Stufe auf der Pointentreppe, von der wir nicht einmal die zweite erahnen können. Und entlässt uns mit einem Bild im Kopf, das Merkel und Hollande zeigt, mit verschissenen Hintern auf dem Rücken eines blütenweißen Eisbären reitend.
Und sonst? Bird „XL-Bernd“ ließ uns teilhaben an seiner elfengeborenen Lyrik. Egers sicherte die Veranstaltungstechnik zukünftiger Geschlechter, indem er die fehlerfrei an den Tonreglern kurbelnde Anja und den schlafwandlerisch exakt die Scheinwerfer rundmachenden Keks unmissverständlich anwies, sofort massenweise Nachwuchs zu zeugen. Herr Fürbringer war auf der Veranstaltung erschienen, als sei er soeben an der Seite von Jürgen Prochnow nach 76-jähriger Feindfahrt mit U-96 im Nürnberger Hafen aufgetaucht. Grund zur Freude: die nächste Show steigt am 15. März. Yeah!
Wir schreiben 2016. Jenes Jahr, dessen erste 14 Tage schon mehr Legenden der Popkultur dahingerafft haben, als es ein ganzes Jahrzehnt verkraften könnte. Erstens mal den anbetungswürdigen David Bowie, dann den ikonischsten aller Metallsänger Lemmy Kilmister und dann auch noch Achim Mentzel, der ja auch irgendwie gut war. Vielleicht ist das Publikum desderwegen so still, bevor die Schau losgeht: wegen der Trauer und Desillusionierung. Man kann beinahe den Niesel sich regen hören. Aber halt nur beinahe. Doch da: ein Kartoffeltschip raschelt in dem Tau, des des Komm ist. Es geht los.
Bird Berlin, der, sagen wir, David Bowie des Ausdruckstanzes und -sanges, ausdruckstanzt und -singt den Mäkkelä auf die Bühne hinauf. Mäkkelä, das wäre wiederum der Lemmy des Nichtmetall, macht Musik wie ein Besessener und singt auch so, dass man ihm das abkauft und das nimmt einen mit auf eine Reise in die eigene Seele oder Finnland. Die sollen uns Mut machen und die Tränen trocknen, denke ich, diese Analogismen.
Da kommt der Egersdörfer auf die Bühne. Wer soll das jetzt sein? Der Achim Mentzel des Bluthochdrucks? Na-JA! Er begrüßt die Leute und führt dann ein Gleichnis vor: er geht backstage und lässt sich vom Bird wieder hereinsingen. Das ist das Zeichen für die Wiedergeburt. Darum geht es auch in der Geschichte, die er erzählt: erst total betrunken sein am Weihnachten und Silvester und dann irgendsichwohinübergeben und da hinein- oder sonst auch irgendwo hinfallen und dann aber wieder aufstehen, das ist die Wiederauferstehung für den Esoteriker unter den Trinkern. Die Carmen kommt dann daher und will alle Frauen abschieben, die sich angrabbeln lassen. Der Hass, den sie hat, kommt von der Kölner Bürgermeisterin und von Helene Fischer, die an Weihnachten ganz erotisch angezogen war im Fernseher und weil das Sofa nach Fisch riecht jetzt.
Apropos Onanie: Ahmet Iscitürk, der freundlich-rundliche Azubi aus Gostenhof hat schlimme Ängste vor einem Leben ohne Handansichlegen, weshalb er auch keinen Günther Grass mehr lesen mag. Ahmet beschreibt unsere Gesellschaft so, wie sie ist: schrecklich. Die meisten Leute darin sind sehr dumm und die öffentliche Wahrnehmung oft auch und an jeder Straßenecke liegen stinkig-dampfende Engstirnigkeiten auf dem Boden. Ahmet hebt sie auf, tütet sie liebevoll ein und schmiert sie uns dann in die parfümierten Gesichter, damit wir nicht abstumpfen. Ein ganz Guter ist er mithin.
Moses Wolff ist ein berühmter Lebemann und Stimmwandler aus München. Er hat kürzlich einen Film verursacht aber nicht mitgebracht ins Komm, sondern in München gelassen. In dem Film geht es um Griechen und Deutsche, die aneinander vorbeireden. In seinen Dialogen sprechen Betrunkene miteinander, was sehr komisch ist, weil die reden auch aneinander vorbei, sind aber alles Deutsche und höchstens mal Preußen. In seinem neuen Programm ist das auch so. Ganz fein ist das.
Der Herr Moll ist natürlich auch da und großartig. Aber wie oft soll ich Ihnen das noch sagen? Glauben Sie es doch mal, Sie Arsch! Ich will jedoch enden mit dem Ausspruch seines Onkels Heinrich zum Jahresende: „Ssso! Widder a Jahr hie. Wird scho amol a gscheits dabei sein. Gutnacht!“. Falls das wahr sein sollte, warten wir einfach auf 2017.
Alte Lebkuchenweisheit: nach der Weihnacht ist vor der Weihnacht. Während draußen Nürnbergs Nebel mit Weihrauch ringt, Rentiernasen auf dem Hauptmarkt marodieren, das Volk mit Glühwasser und Fleischsalat im Weckla vollgepumpt wird, nimmt uns das KOMM wie eine heimelige Krippe auf, an diesem 8. Dezember. Zum Stalle wird uns der große Festsaal, bis zum Rande gefüllt mit Leuten, darunter finden sich sowohl Maschinenführer als auch Mannheimer, zudem unterfränkische Buchstabenverweigerer. Und wo all die anderen herkommen - du willst es nicht wissen.
Maestro M. Friedr. Egersdörfer eröffnet den ganzen Kladderadatsch, wirkt aufgeräumt, leichtfüßig und elegant wie eine neuerworbene Manufaktum-Hängekommode. Überhaupt kennzeichnet den Reigen der Artverwandten insgesamt und sämtlich ein einziges Wort: Höchstleistung.
Wir wissen nicht, wie viele Hektotonnen Glitzer Bird Berlin in seiner Wohnung gehortet hat. Sobald er freilich die Bühne betritt, wird offenbar: von einem Mangel sind wir noch weit entfernt. Wie eine Sonne, die auf der unermesslichen Südsee Funken sprüht, in nichts als Nackt & Neon gekleidet, singend wie ein vergoldetes Windspiel – Bird ist eine Erscheinung: leicht wie ein entfesselter Ballon, massiv wie eine turnende Kirchenorgel und zugleich so elastisch wie ein komplette Kautschukplantage. Eigentlich ist es physikalisch unmöglich, wie dieser Mann sich bewegt. Umso begrüßenswerter, dass seine musikalischen Ansagen von Mal zu Mal länger und vielschichtiger werden, sich auch ein komplettes Liedlein untermischt, das uns außerordentlich wohl gefällt. Und zwar mit Ausfallschritt sogar.
Matthias „SpuSi“ Egersdörfer selbst macht vor wie's richtig geht: einfach ultragenau hinschauen, laserscharf nachdenken, in unsterblich perfekte Worte packen und praktisch schon fast beinah hochdeutsch aussprechen – fertig. So einfach ist das. Meister E. bohrt eine Brücke vom Hamburger Hauptbahnhof zum Geldautomaten im Sparkassenkabuff an der U-Bahn-Passage, bringt Bach und Mozart ins Spiel und kehrt geschwind die Tüte auf links, so dass wir alle die Gemeinheit erkennen, die wie Flusen, Staub und Popel in den Falten unserer schönen Geldwelt nistet.
Es folgt der nächste Sprung durch die Dimensionen, ein fundamental über sich selbst hinaus gewachsener Ahmed Iscitürk greift zum Mikrofon und hält Gericht. Er packt das geistige Zwergentum am Sack und knackt die enthirnte Schale der Political Correctness. Ruhig und groß steht er, treffsicher und pointiert wie ein Stachelrochen spricht er. Der Gostambuler Kalauerprinz hat sich gewandelt zum metropolen Satiredirektor, dem Anschein nach ganz mühelos und aus unerschöpflichem Einfallsreichtum gespeist. Das macht uns rattenscharf nach Iscitürk, dem ersten Vorsitzenden der „BAFDALON – Berufstätige Ausländer für die Ausweisung Langzeitarbeitsloser Ostnazis“. We cry more, more, more!
Lisa Politt lässt keine Sekunde lang Zweifel daran aufkommen, dass sie einhundertein Prozent Talent plus Bühnenerfahrung im Umfang des Hamburger Containerhafens in sich dingst. Sie gestikul-, tirill- und expressiert einem frisch gepfefferten Fohlen gleich, pendelt geschickt zwischen nordflachdeutschen Landschuljugendanekdoten und politischer Belehrungspredigt. Bedauerlich nur, dass sie scheint's komplett auf einer Linie mit dem Publikum liegt, denn sie rennt mit Volldampf durch eine sperrangelweit offenstehende Tür nach der anderen, so dass es weniger knallt noch kracht als erwartet. Die Vorstellung, Politt würde von der Bühne herab einen Pegida-Mob oder eine CSU-Parteitagshorde intellektuell in die Luft jagen, beschert mir einen besinnlich-wohligen Schauerlauf das Rückgrat hinunter.
Tief und mitten in den Magen des Abends gebettet: eine göttliche Wurst, zum hineinlegen, sich damit einreiben, darin baden. Die Buchstabenwurst nämlich, die dem Philipp Balthasar Moll seinem erlauchten Mündlein entfleucht, gewürzt und gesotten von der tausendundeins rosa Nashörnern, die in dem Moll seinem Kopf drinnen womöglich Tag und Nacht fuhrwerken und rabunkeln, dass dieser Mann ohne Aussetzer gar so transgalaktisch schöne Dinge sagen kann! Seid verflucht, Ihr „kleingeistigen Zwetschgenmännlein in der Weihnachtsverwaltung des Magistrats“, wenn Ihr nicht einmal das Christkind erkennt, obschon seine bezaubernde Hälfte vor Euch steht!
Die Bühnenbretter bogen sich bereits unter gar so vielen paradiesisch schönen Schatzamphoren, dass das größte Wunder beinahe alles gesprengt hätte: aus Hamburg (ca. 42 Einwohner) ein unbegleitetes, wenn gleich volljähriges Akkordeon. Ihm stak im Balg ein Mann, welchen es verschluckt hatte. Oben schaute Frank Grischeks Kopf heraus, dessen Hände beiderseits wie die Windhunde des Satans über die Tasten hetzten. Quetschentrockenen Ansagen folgte überlichtschnelle Musik. Und tief drinnen, in dem Mensch-Akkordeon-Hybridgerät klopfte ein fröhliches Herz den Takt, hold entrückend!
Apropos Paradies und alles gesprengt: ganz nah und dicht wurd´s, als Carmen beschloss, mit 72 Lesben ein Mösenleckerparadies zu gründen, indem sie ihren Göttergatten samt Festsaal per Knopfdruck in Hackschnitzel verwandeln würde. Aber der Sprengstoff einer Ehe erwies sich stärker als scheußliche lila Oberteile oder psychotische Suizid-Geilheit.
Weiter geht’s am 12. Januar und wenn nicht der Teufel mit seinen Griffeln dazwischen geht, wird’s noch dreimal so schön werden, weil: die Richtung zeigt exakt hinauf. Und zwar, wie wir dem gespielten Witz entnehmen durften, in einen Himmel, der voll der rosinenfreien Stollen hängt! Dreimal so schön
Obacht! Zu Beginn dieser Kritik stelle ich eine recht verwegene These auf und danach nicht mehr: ein nicht einmal mittelmäßiger Gelegenheitsschauspieler benötigt der Dinge drei zum erfolgreichen Arbeiten. Erstens: mächtig viel Schminke, zweitens: reichlich Lippenstift und drittens: händevoll kultureller Extravaganz. Mal sehen, ob ich später darauf zurückkomme. Vielleicht nicht.
Der Herbst-Egers hat sich etwas Cooles ausgedacht im November des Jahres, das dank Dr. Wolfgang Dings MdB als Flüchtlingslawinenjahr (#rassismusfuckyeah) in die Geschichte eingehen wird: eine Artverwandtenschau mit lauter Menschen aus Franken wie dem Comicduo Greser&Lenz oder dem Wortwitzwunder Ahmet Iscitürk oder dem Bird Berlin (♥) und einer Frau, die nicht aus Franken kommt, sondern aus Oberpfalz oder so, aber hier viele Leute kennt, wie z.B. den Philipp Moll.
Und damit kommen wir schon zu einem traurigen Kapitel des Abends. Denn der mollwelche Philipp, der durch eine gute Sprache und ausgeprägte Formulierungs- und Wortschöpfungsskills von den anderen Menschen sich unterscheidet und auf ein Podest sich stellen darf mit anderen großen Schriftstellern wie dem Ludwig Thoma oder dem Jean Paul zum Beispiel, wird vom Egersdörfer bei den Leuten krankgemeldet. Wir wünschen ihm alles Gute in das Lazarett hinein und in seine Glieder.
Jedenfalls geht der Abend dann schön an und lustig. Ahmet Iscitürk lässt ein Gägfeuerwerk alleroberster Güte nach dem anderen vom Stapel, was beim Publikum abwechselnd für Lach- und Furzkrämpfe sorgt. Warum, weiß ich auch nicht. Er ist noch sehr nervös, aber kann es schon gut, das Witzeerzählen, denn er hat es, zumindest glaube ich fest daran, wenigstens zehn Semester studiert und dann gewiss mit Summa cum laude promoviert.
Das Comicduo, das Heribert Lenz und Achim Greser sind, beherrscht die „vermuffteste, also fränkischste Form der Unterhaltung“, den Diavortrag, wie kein zweites vor ihm. Die Zeichner sind die wohl bekanntesten Franken in der Türkei, wo der grämliche Recep Tayyip Erdoğan unlängst eine Zauberin anrief und die beiden mit einem Fluch belegen ließ, der dafür sorgte, dass die Menschen dort keine Zeichnungen von ihnen mehr anschauen möchten. Dabei sind die Cartoons über IS-Psychopathen, den demographischen Wandel, FIFA- und VW-Skandale und andere Fußnoten der deutschen Tagespresse, sehr erfreulich, weil mit sicherer, achtsamer Feder gezeichnet und mit harten, kratzigen Bahlsen-Salzstängchen in den Wunden unserer urdeutschen Seelen herumstochernd und damit die ärgsten, urdeutschesten Komplexe freilegend. Es kann einen also nur sehr wundern, dass gegen Ende des Egerviews mit den Grandseigneurs des gezeichneten Witzes ein paar Arschgeigen ihre blöden Gesichter nicht zuhalten konnten. Gut, dass das der Herr Moll nicht mitgekriegt hat. Das hätte bestimmt zweieinhalb bis acht neu gezogene Scheitel gegeben.
Die Aumeierin, welche sich mit Mann und ohne Hund aus der Oberpfalz herbegeben hatte, wusste mit solchen Unterhaltungschauvinisten umzugehen und erzählte derweil etwas über Körperbewusstsein bei geschlechtsreifen Primaten und die Ästhetik in webweit kursierenden Fickfilmchen, was allgemeine Bewunderung und vereinzeltes Durchdiezähnepfeifen hervorrief. Eine tapfere Kämpferin für den Weltfrieden, das ist sie. Die Aumeierin. Aus der Oberpfalz.
Obacht! Hiermit revidiere ich meine These vom Beginn dieses Textes. Drei Dinge, die ein nicht einmal mittelmäßiger Gelegenheitsschauspieler zum Arbeiten benötigt sind erstens: ein gütiger Egers, zweitens: eine coole Carmen und drittens: mächtig viel Schminke, reichlich Lippenstift und händevoll kultureller Extravaganz. Dankesehr. [Alle ab.]
Drei Monate faulgelenzt und schon detonieren sie mit runderneuertem Schwung und der Frische eines frühen Wintereinbruchs, Meister M. Egersdörfer und seine Artverwandten, dorten im Komm, dem ehrwürdigen, in einem praktisch komplett besetzten großen Festsaal, am 13. Oktober 2015. Oder, um mit Wolf Haas zu sprechen: Bestform Hilfsausdruck!
Zum Start Schidl 'n' Schedl aus unserem oberpfälzischen Nachbarland Oberpfalz, mit waschbrettechtem Stuben-Metall, quasi empfangen unter dem Heavy Herrgottswinkel. Sie haben Zuwachs gekriegt für diesen Auftritt, dem Vernehmen nach gezeugt zwischen zwei Fleischsalaten: Philipp Moll am Reibegeräusch. Im Heimatdorf von Schidl 'n' Schedl scheint die altehrwürdige Kunst des Haareabschneidens endgültig ausgestorben zu sein, dafür hat's beim Schreien ordentlichen Impetus. Ob die Art der Darbietung der Verständlichkeit der Texte Abbruch tut, wird bis heute hitzig diskutiert. Das Publikum jedenfalls schien den Erstkontakt mit einer Musik, vor der es seine Enkel immer gewarnt hat, mit Erbauung überstanden zu haben.
Auch Bird Berlin ist wiederauferstanden, wie ein junger Luftballon hüpft er nachgerade schwebend über's Bühnentreppchen, frisch mit Glitzer bestäubt, die eine oder andere Ecke seines Prachtleibes nachgerundet und verbrämt mit Pulswärmern, deren Pink unwillkürlich an die letzten sehenden Augenblicke erinnert, die einem Kaktus kurz nach der Zündung einer Wasserstoffbombe vergönnt sind. Als wär das nicht genug, liest Birdy aus seinem umfangreichen Schaffen Einhorn-Lyrik vor, so possierlich und rosa, dass es mir rotierende Psychedelik-Spiralen vor die Augen schiebt. Große Schbütze!
Beim Direktkontakt mit ausgewählten Exemplaren aus dem Publikum erweist sich erneut die Treffsicherheit des Matthias Egersdörfer'schen Flitzpiependetektors. Klar, Rolf Miller ist an Scheißerei erkrankt, das ist extrem bedauerlich (insbesondere für den großartigen Kabarettisten selbst!), aber alles andere würde sich geziemen als deshalb gleich beleidigt zu sein. In seiner unermesslichen Gnade gibt der rot behemdete Weise mit dem zierlichen Haar (wohnh. i. Fürth) der maßlosen Dame zu bedenken, dass man in Franken doch seit jeher wisse, dass das ganze Leben ein verlorener Abend sei, wo also das Problem liege?
Eingehüllt in einen Sprühnebel aus aufgestauter Energie springt Carmen dem Meister bei. Doch wo ist ihre kotzhässliche lila Bluse? fragen wir – eingetauscht wurde sie, so sehen wir, gegen ein kotzhässliches schwarzes Top mit herziger Glitzerperlenapplikation. Rasch entspinnt sich ein Dialog zwischen den Ehegesponsen, der sich auswächst in ein fulminantes Statement zur sog. „Flüchtlingskrise“. Artverwandt verklickern Herr und Frau Carmen allen Klugschwätzern in Zeitung, Parlament und sozialen Medien, wo's lang geht. Der Depp, der die Welt per facebook-“Gefällt mir“ zu retten glaubt, und die gutmenschige Gebrauchtkleidungsdiebin entlarven sich gegenseitig. Wie aus einer Wunderlampe steigt aus dem Zwiegespräch eine Botschaft empor: wenn jemand zurecht über eine „Krise“ klagen und jammern darf, dann niemand sonst als die Flüchtlinge selbst, denen ein Tod durch Hunger, Durst, Ertrinken, Bomben sowie qualitativ hochwertige Sturmgewehre droht.
Ein Ischi-itschi-Calypso ertönt, Bernd Bird Berlin singt wie der Wind, der um die Gitterstäbe eines Käfigs säuselt, in dem eine weinende Fee auf einem Nagelbrett sitzt. Der shooting star Ahmed Iscitürk fordert seinen Raum auf der Bühne, wo er einen Kracher dem anderen folgen lässt. Waghalsige Pointen reihen sich Stoßstange an Stoßstange aneinander wie beim Stau auf der Südwesttangente: es gibt kein Entkommen. Ahmed ist der schmerzbefreiteste von allen, bei manch einem Wortspiel würden sich sogar Gymmicks Zehennägel aufrollen. Wird Ahmed, der nimmersatte Immigrant, Gymmick den „Abbeizplatz“ wegnehmen? Wohl kaum – denn der Quoten-Gostambuler schafft es ja nicht einmal, mehr als eine Laugenbrezel aufeinmal über sein Glied zu stülpen. Das wie stets schlaffe, wohlgemerkt.
Und dann? O can't you see? – it's Philipp Moll! Philipp Balthasar Moll, der vor und nach der Pause auftrat, eine Sprachgewalt heraushängen lassend, mit der er New York auf den Kopf stellen könnte. So einen habe, wie der weltberühmte Spurensicherer aus Fürth abschließend resümiert, Nürnberg nicht verdient. Ebensowenig wie die bezaubernde Carmen aka Claudia Schulz-Möhl. Wobei Moll, nebenbei bemerkt, in letzter Zeit von innen heraus zu leuchten begonnen hat. Als wäre da ein Reaktorkern heiß- oder die lavöse Inspiration derer sieben Tempelmusen hineingelaufen. Womöglich müsste da jemand mal Messungen anstellen. Nicht dass sich Nürnbergs, ach, ganz Mittelost-Südnordbayern-Weltdeutschlands begnadetster Dichter klammheimlich in eine Supernova verwandelt! Aber solange er nur weiterhin solch jenseitig schöne Wortfontänen speit, wär's mir auch recht.
Last but not least: Weltpremiere! Interview mit Fagott-Gott Wolfgang Peßler! Egersdörfer erklärt en passant die Oper mitsamt Orchestergraben, Regisseur und einem Siegfried auf dem Kühlschrank, als habe er das Genre vom Olymp aus selbst erfunden. Beplaudert derweil mit butterzarter Einfühlung den Peßler, dass eigentlich nichts näher liegt als eine 79-teilige Serie auf Arte: „Gespräche eines Egersdörfers über Musik und sonst alles.“ Mit Ahmed Iscitürk als Gleichstellungsbeauftragter. Ich tät's mir anschauen!
Ein das Weltenall zerreißender gespielter Witz tupft ein Sahnehäubchen auf das Feuerwerk der brandigen Metaphern – falls mir dieser Vergleich gestattet sei, der fachgerecht hinkt wie Sau. Schlussgerecht zusammengefasst: Wir zählen die Sekunden bis zum nächsten Mal!
Wenn im Kunst- und Kultur- und Quatsch-Haus gegenüber von dem Hauptbahnhof, vormals bekannt als Komm, der Rainald den Roland bespielt, der Herr Moll umschweifend das Prinzip des „Dosenlochens“ abhandelt und die Boys von der BBC (guter Name!) den Jimmy Page beschwören, dann ist wohl DemEgersdörferseineArtverwandtenihreBesprechungsÄhRubriktime (guter Terminus!).
Es begab sich, dass schon lange ausverkauft war der Verwandtenabend sodass fast nicht einmal der Klaus mehr hineinkam, weil in den Ländereien der Ruf erging, ein Mann wäre heute da, der nicht nur schön sondern auch klug wäre und das Volk kam in Überfünfhunderten um dem Wort des Herrn zu lauschen. Aber Bird Berlin war leider am Nachmittag an einer übellaunigen Gastroenteritis erkrankt geworden gewest. Wie groß die Pein.
Um diesen Mangel auszumerzen hatte der liebe Egers den echten Rainald Grebe aus Berlin eingeladen und das missfiel den Zuschauern nicht, weil wer im „Dürerhauptquartier“ (P. B. Moll) Nürnberg die Worte „der“ und „Hase“ spricht in dieser Reihenfolge, und selbst, wenn er es nicht so meint, der muss sich keine Gedanken um Sympathien machen. Güldene Momente erlebten wir noch mit dem Grebe, als er sich nicht zu schade war, aus seinem Schoßrechner irgendwelche Schnipsel herauszusingen und Scheiß, der nicht gut genug für auf Platte war. Das war wahrlich ein charmantes Potpourri der Rudimente.
Charmant ist auch vieles in Österreich. Der hundsblöde Wiener „Akademiker“ball aber zum Beispiel oder die zurückgebliebene Käfer-Esserin Larissa Marolt sind nicht gemeint. Jedoch Ulla und Toni von Flüsterzweieck kommen von Österreich herauf. Und die sind gut, denn sie machen Kabaretttheater und das hinterlässt manche Leute stutzig: ist das jetzt Kabarett oder Theater? Ja, ganz schön blöd sind die Leute. Natürlich keins von Beidem! Es ist zunächst mal ein Wort mit 3-4 „t“. Cool ist das und österreichisch und abwechslungsreich. Weil Ulla und Toni dem Österreich seine Chamäleönner sind.
Dann geht plötzlich die Tür auf und eine sexuelle Spannung kommt hereingekommen in Person von Carmen, die eine romantische Phantasie beschreibt wo sie mit dem Egers tot vor Joachim Gauck liegt und saftelt und dann sich selbst wieder gebiert als Marianne Sägebrecht oder so und der Egersdörfer darf sich auch gebären aber vielleicht als Anselm Grün. Die Leute, die zuhören weil sie auch da sind, trocknen sich die tränennassen Wangen ab, weil sie noch niemals so eine schöne Phantasie nicht hatten und viele Leute haben hastig mitnotiert und sind ganz fahrig geworden und schnell heim.
Auch bei Ahmet Iscitürk, der aus Nürnbergs „Prenzlauer Schanzen-Schwabing“ (erneut: P. B. Moll), Gostenhof herkommt, nehmen die Frühlingsgefühle die Kontrolle über. Wie ein stattlicher Panther über die Bühne stromernd, philosophiert er über sexuelle Avancen bei schönen Frauen, die natürlich in erotischen Abenteuern enden, aber nur im Kopf des Zuhörers und nicht auf der Bühne selber.
Ganz kurz wird es politisch, weil der Moderator, Gastgeber, Conférencier und Master of Ceremonies Egersdörfer auf dem Klosett einen Spruch über Physikstunden gelesen hat und den auch wiedergibt. Mit einem modisch bewussten Gast gibt es fast Haue oder nicht, weil der gegen oder für Atomkraft ist aber so genau hab ich das nicht mitgekriegt, weil ich da grad eine Petition für oder gegen Stromtrassen am Unterschreiben war. Das Thema wurde dann wegconférenciert vom Meister E. und alle haben sich verstanden und waren froh mit sich und dann spielte die Burnout Blues Convention alle Menschen heraus aus dem Komm, damit sie noch ein Bier tränken. Und es ward.
Aber irgendwo in der Stadt krümmte sich der Bird Berlin in seinem Bett, heulte und knirschte mit den Zähnen, weil er den schönen Abend verpasst hat.
Alles hat zwei Seiten, ziemlich exakt genauso wie das Spiegelei. Zum Beispiel der große Saal im schönen KOMM in Nürnberg, der wo ganz wunderherzlich gemütlich ist. Denn so schön, so zu klein ist er halt, wenn ein Tatort-Superstar auftritt und bis zum hinterletzten Heizkörper alle Sitzplätze voll gesessen sind. So nämlich.
Oder der Sonnenschein, der leider all die Zombies aus ihren modrigen Löchern zerrt, andererseits dem Egersdörfer tierisch auf den Nerv fällt, so dass er vom Sofa kullert und zu neuen Ufern aufbricht. Ohne Rollkoffer. Weil entsetzliches Geräusch und keine Mühe. Erdrosselte Frauen, Stoffbären oder den gelben Sack hinter sich herschleppen – kein Problem. Aber das Leben ganz bequem und auf lärmenden Röllchen? Nein, sagt da Meister E., der vielseitige.
Ebenso plurilateral der 1. Nürnberger Seemanns-Chor, der zum Teil ein Fürther Kennzeichen fuhr und ganz ausgezeichnet sang, wenngleich wiederholt offenbar wurde, dass auch in Franken nicht hinter jedem Schlehengestrüpp ein verstecktes Operntalent hockt. Die Musik des Abends war hochniveaumäßig wie schon lange nicht mehr. Ausnahmslos alles ganz exquisite Künstler, mit Tuba, Klavier und Matrosenanzug. Michael Schatz ... äh, 'tschuldigung, Matthias Egersdörfer bewies erneut sein fein kalibriertes Händchen beim Einladen. Sogar bei der Rotte singender Seebären. Denn ich könnte zwar sagen: deren Pointen waren so alt, dass sie nicht mehr nur verstaubt, sondern nur noch bröckelige Hohlformen längst dahin geschiedenen Humors waren, wie die Hohlkörper, die man unter der Asche in Pompeij fand, mit nicht einmal einem Kadaver darin. Immerhin ein hochinteressanter Blick in ferne Vergangenheiten des heiteren Liedgutes. Und vielleicht bin ich auch zu genäschig, denke ich manchmal, quasi meine zweite Seite, dass mir das Auftreten des Chors abseits vom Singen drei oder vier Faden zu effektheischerisch und selbstgefällig war. Naja, halb so wild.
Ein paar der Seemänner hat es dann aber doch ganz schön die Visage verrissen, als Ahmet Iscitürk aus Gostenhof auftrat, ein Spitzenmann, wo man sich frägt, wo der sich so lange versteckt hat, anstatt auf der Bühne wie eine angestochene Sau hin und her zu galoppieren und einen kleinasiatischen Böller nach dem anderen zu zünden. Ohne Schonung sich steigernd bis zum brillanten Höhepunkt, wenn er, in dem Moment, wo er seinen neuen Pass in der Hand hält, die eigene Verwandlung in ein spießerdeutsches Arschloch beobachtet. Die Räumungsklage auf dem Bauch der Schwangeren wird wohl in den ewigen Kanon des geschmacklosen Brutalscherzes eingehen. Ungefähr so wie der Strauß in die Walhalla - womit kürzlich das Söder dem Vernehmen nach vorschlägig wurde. Aber na gut.
Und apropos Bauch: erstmals entgleist sind dem Chor die Gesichtszüge gleich zu Beginn, als die elfigste Nummernbraut des Kontinents herein getänzelt kam. Bird Berlin, der bärtige Bewohner eines Baumkörpers. bzw. Traum-. Sein Bauarbeiter-Dekolleté erregte Aufmerksamkeit, nach hinten freilich. Wie dem auch immer sei, Bird! Flieg vorsichtig nach London und pass dort gut auf Dich auf! Unsere Herzen brauchen Dich, so schön und gemütserwärmend wie Du bist, und Deinen engelsgleichen Gesang, Du Amseldrosselstar!
Überhaupt - ein Lob auf die Handwerker, die 1835 so um die Tuba herum gleich noch die Bühne im großen Festsaal bauten, denn die selbige hielt. Und das, obwohl anno dunnemals sicherlich nicht absehbar war, dass beim Egersdörfer von Vorstellung zu Vorstellung ein dicker Mann mehr auf die Bühne gebeten würde, eine ganz prachtvolle Parade der Bäuche war das, inmitten derer selbst Matthias "öffentlich-rechtlich" Egersd. wie Schmalhans wirkt. Fein!
Einer, den der kundige Verwandschaftskundler nach der Pause nicht mehr erwartet hätte, stieg freilich dann doch noch herab aus größter Höhe zum Plebs im Saal und ward Gott. Und wie alle Götter hat dieser unserer zwei Seiten, nämlich vorne und hinten. Vorne Hosenträger, hinten langes Haargestrüpp auf dem göttlich gerundeten Kopf, aus dem es wunderbar heraus menetekelte, von einer Bahn, einem Wind und einem bodenlosen Fass, dass vollgekotzt wird, wenn Philipp Balthasar Moll (so Gottes bürgerlicher Name) an die pickeligen Analfisteln von der Pegida-Vollarschfraktion denken muss. Bravo!
Matthias Reuter spielte Klavier, als hätte er es bei Udo Jürgens gelernt, er singt bravourös, bringt musikalisches Kabarett so felsengrundsolide, dass sich überhaupt nichts fehlt. Seine Zweitseite? Ich fand, dass er auffallend intensiv von schreienden Kindern, Kindergeburtstagen und Kinder erschreckenden Kinderbuchbild-Afrikanern räsonierte. Spricht da der Bub in ihm heraus aus ihm? Falls ja: her damit!
Zwischendrinne zum zweiten Male der Meister, im Überschwang des Depressiven-Bäschings die stets in darmverknotender Schauerlichkeit gewandete Carmen anschreiend, dass der Saal atmosphärisch gar herzerregend überschlägt. Sozialanalytik der Sonderklasse. Jepp.
Andreas Martin Hofmeir, der sprechende Tubist, wiederum, der sollte haargenauso weiter machen, wie er jetzt macht: im Niederbayrischen Urwald-Slang, der anheimelnd poltisch klingt, mit aberwitzig miserabler Lyrik, protzend mit der brillanten Beherrschung seines Instruments – solo großartig, ob mit acht Tönen oder mit dem dänisches Scherzo „Egersdörfer“ in Schräg-Moll. Der Diamant unter den Perlen war freilich sein Duett mit vorgenanntem Reuter. Ich vermisste nur noch eine Zigarre im Mundwinkel, während es Dukaten der Euphorie regnete. Oder so.
Der gespielte Witz der Höhepunkt und so grottenschlecht, als penetrierte eine ranzige Bockwurst einen faulen Kürbis. So brunzschlecht, dass nur extravagante Saubeutel im Saale die Schweinischkeit bemerkten. Das nächste Mal bitte mit Gurke, Frau Schulz, und: Danke!
Die nächsten Artverwandten im Mai dann, vor der maßlos in die Länge gestreckten Sommerpause. Alles hat zwei Seiten, auch diese Kritik, die jetzt plötzlich wieder um ist.