Künstlerhaus im KunstKulturQuartier - Festsaal
Abendkasse: 16.00 € / ermäßigt: 10.00 €
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Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt. Aber von mir aus können sie sie gerne wieder zurück haben. Diese Erde ist am Ende, eine Reparatur zahlt sich nicht mehr aus, die kann man getrost in den Bach legen. Aber: Über 800 Planeten, die um andere Sonnen kreisen, haben wir Menschen in unserer Galaxie schon entdeckt. Einer wird wohl für Leben passen, und aus dem machen wir eine Supererde! Ganz neu anfangen auf einer nagelneuen, jungfräulichen Erde, die man noch fair gestalten kann, ohne Kollektivschuld. Und wer zuerst kommt, malt zuerst. Kann sein, dass man wieder Einheimische ausrotten muss, aber dafür gibt es ja ein Manual. Supererde! Endlich Gerechtigkeit. Endlich alles richtig machen können. Endlich glücklich sein, aber gleichzeitig auch reich und gesund. Supererde! Direkt vom Bauträger, nur wenige Lichtjahre entfernt, Erstbezug. Martin Puntigam, der Autobahnraser unter den deutschsprachigen Satirikern, der in den letzten Jahren auch als MC der Science Busters Furore gemacht hat, greift in seinem neuen Kabarett-Solo nach den Sternen.
Burkhard Bering ist kein Stand - up - Comödiant sondern viel eher ein Wort-Punker, der versucht seine Inhalte der Welt der Normalen nahezubringen. Unglaubliche Geschichten von Nutella scheissenden Hunden, von der ersten Begegnung mit einem Rechtsradikalen und einem Marienkäfer gleichzeitig oder wie es gewesen wäre, wenn Hitler jemals eine Falafel bestellt hätte.
…In seinem Programm zelebriert der Fürther das Fabulieren, das Auswalzen von bisweilen irrsinnigen Geschichten mit verrückten Ideen, mit immer noch skurrileren Wendungen und maßlosen Übertreibungen. Griesgrämig bis wütend, derb im Ausdruck und gerne im Ordinären wühlend, gibt er auf der Bühne in deftigem Fränkisch den polternden Proleten – was bei einem Teil des Publikums tiefste Lachfalten, bei manchen Zuschauern aber auch Stirnrunzeln verursachte. Ein Auftritt, der zweifelsohne polarisierte… (Fränkische Nachrichten)
TätterätätäÄ!
In seiner großartigen Umsicht hat der Vater vom Heiland der Comedy Lounge ein neues Kindlein in die Krippe gelegt.
Sein Name ist Philipp Moll, sein Beruf ist Praktikant in der Lounge.
Des Vögleins Federn sind gestutzt. Stampfende Beats erbeben die Tanzfläche und lassen die fanatischen Füße schreiend kreischen "will mich nicht bewegen - muss mich bewegen!" Schwitzen - Extase - Lust! In genau dieser Reihenfolge. In genau dieser Intensität. Maskuline Musikorgasmen beapen ins Ohr. Ein Gefühlsrausch durchs dichte digitale Disco Dunkel, erhellt von Lichtbrechungen an Spiegeln und Menschen, die Schönheit in Erotik verwandeln.
Natalie de Ligt ist ein possierliches und äußerst bescheidenes Wesen, das ihren Scheffel am liebsten unter der Erdoberfläche vergräbt. Dabei kommen ab und an erstaunliche Gedanken aus ihr heraus, so dass ein Zerren auf die Bühne berechtigt ist und auch gegen ihren Willen geschehen kann und darf. „Der Frau ihr Welt“ handelt von der Welt und allen Lebe- und Totewesen, die sich darin befinden oder eben nur vom Wind bewegt werden. Nicht nur die Frau selbst, auch das Publikum muss mit allem rechnen – auch mit schonungslosen Performances oder beschämender Langeweile. Alles zu seiner Zeit.
Carmen Schulz, die nur mit einer Geburtszange auf diese Welt gezwungen werden konnte, verlebte eine traurige und schmerzhafte Kindheit in einer Klosterschule. Dort hauste sie von den Nonnen geduldet im Klosterkeller, da ihre leiblichen Eltern den Anblick ihrer Tochter nicht länger im eigenen Hause ertragen konnten. O-Ton Mutter: „Schon als ich sie das erste Mal sah, war mir klar, das ich dieses Kind niemals lieben werden kann.“
Eine großartige Wende erfuhr ihr Leben erst, als sie vor 9 Jahren den Kabarettisten Matthias Egersdörfer kennenlernte und die beiden schon bald ein Paar wurden. Bei ihm findet sie alles, was sie zuvor nie bekommen hat: Einen warmen Schlafplatz und Aufrichtigkeit. O-Ton Matthias: Jeder Mensch hat ein Recht darauf, dass man offen und ehrlich mit ihm umgeht. Und wenn ich zur Carmen sage, dass sie nicht gerade mit Schönheit und Intelligenz gesegnet ist, dann meine ich es ja nur gut mit ihr. Matthias zu Liebe begleitet Carmen ihn immer wieder auf die Bühne, wo die beiden aus ihrem Leben plaudern. O-Ton Carmen: „Freude empfinde ich dabei nicht, ich weiß auch gar nicht, ob ich schon jemals Freude in meinem Leben empfunden habe, aber für ihn würde ich alles machen, was er von mir verlangt, wenn es ihn nur glücklich macht.“ Und wenn man sie und ihren geschunden Körper sieht, ist man sich plötzlich nicht mehr sicher, ob ihr nicht damals mit einer Abtreibung vieles erspart geblieben wäre.
Auch wenn Amnesty International und der WWF immer wieder versuchen die gemeinsame Shows zu verbieten und Carmen unter ständiger psychatrischer Betreuung stehen, zwingt Matthias Egersdörfer sie immer wieder zu Auftritten in ganz Deutschland.
Es war mittwochs, am Morgen, kurz nach sechs, als draußen der große Fuddelwuddel einsetzte, mit krähendem Iman, mit bimmelnden Shivas und Ganeshas, eintausendundein furzenden Mopeds, und mit Kühen, die in einem einzigen gigantomanischen Pflatsch alle gleichzeitig ihren ersten Fladen aufs Pflaster spratzeln, dass der ganze Bundesstaat erbebt und die Luft anhält, bangend der Gerüche harrend, welche der erblühende Fäkalienstrauß des Tages wohl mit sich bringen würde.
Der Abend des Dienstags, der sich elfter März zwotausendundvierzehn schrieb, war ein wilder gewesen, und Zeuge großer Dislokationsvorgänge. In Nürnberg hatte der begnadete Fakir des Wortes, Matthias Klaus Friedrich Egersdörfer geladen, wie immer ins gute alte Komm, um dortselbst seine eigene wie auch die Kunstfertigkeit seiner hochgeschätzten Zunftbrüder und -brüderinnen zur allgemeinen Beschau aufzuklappen. Nur wenige Stunden zuvor und nur wenige 6.000 Kilometer entfernt, konkret um halb acht Uhr indischer Standardzeit am altehrwürdigen Ufer des Ganges, hatten sich die subkontinentalen Artverwandten des Laufer Giganten (extrem rechts der Pegnitz) am Dsashwamedh-Ghat zusammen gerottet, um gleichfalls fröhliche Urstände zu feiern. Beide Zeremonien möchten im Folgenden ihrer intrinsischen Kongenialität wegen gebührend gewürdigt werden.
Die Nürnberger Versammlung wäre nicht ihres Namens wert, durchtrennte nicht der Meister das goldene Band der Artverwandten, insofern er beim Spaziergang des Schreckens arglose Bürger, die ein mildherziger Geist zum Spektakel gelockt hatte, gründlich hinterfragt. Die kampfentscheidende Dialektik des Abschleckens versus des Abgeschlecktwerdens kommt angemessen zur Sprache, denn geht es doch um nichts anderes als darum, den Leuten von Anfang an wehzutun. Folgerichtig ist's einer Frau zu laut, ein Aussätziger wird aus Sicherheitsgründen rasch und komplett übergangen, ein Mann visitiert nach längerer Zeit zum zweiten Mal die Show, obwohl er sie schon das erste Mal recht ordinär fand, und er dürfte sein blaues Wunder erlebt haben. Auch das langweilige Designergewerbe und das spannende Versicherungskaufmannswesen, ein Bauernfünfer und Frau Birkenstock haben sich eingestellt, es kann losgehen.
Bird Berlin ist an diesem Abend entschuldigt, weil er krank ist, im und ums Ohr. Gute Besserung wünschen wir! Ebenso kann Herr Moll nicht anwesend sein, wegen eines kurzfristig herein geflatterten Slip-Unterhosen-Mode-Shootings auf den Seychellen. Auch er fehlt demnach mit Erlaubnis, wenngleich zum praktisch überabzählbar unendlich vielfältigen Bedauern des Berichterstatters. Im Zentral-Cafe, untendarunter von dem großen Festsaal bumbern Punker auf ihrem Instrumenten-Schrott, wobei die Hälfte der Leute eigentlich zuschauen hatte wollen, ehe sie dem komischen Rattenfänger im roten Hemde auf den Leime gingen taten. Aber das tut dem Spaß keinen Abbruch. Im Gegenteil.
Mister M/s Egersd/r lässt es beschaulich angehen, geht bis an die Auslöseschwelle der Sentimentalität, indem er berichtet von den Trampelpfaden seiner Kindheit, die in einen Dschungel führten, der auf Aushub und Bauschutt erblühte (Vermutlich ruderale Vegetation, lest's im Internet nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Ruderalvegetation). Diese Pfade nahm er, um Vater und Mutter, der Weltgrenze im Allgemeinen und ganz speziell den bitterbösen Schwestern zu entfliehen. Und um zu zündeln. In freier Natur die Lehren umsetzend, die den Egersdörfers ihr Bub am heimischen Badeofen erlernt hatte. Heute ist diese Wildnis verschwunden, mit geschmacklosen Neubauten und Balkonen zubetoniert, dieser Schauplatz des einzigen Einsatzes von UN-Friedenstruppen zwischen der Ahorn- und der Erlenstraße in Lauf a.d. Peg. jemals, dessen berühmtester Sohn seinerzeit am großen Dreckbatzen-Krieg maßgeblich beteiligt war. Süße Erinnerungen an für immer Entschwundenes, fürwahr, und ein wahrhaft sanft-zärtlicher Einstieg in das anschwellende Tohuwabohu des Abends.
Eine ganz andere Sache ist es, wenn neun Priester gleichzeitig damit beginnen, neun silberne Kerzenhalter zu schwenken, nebeneinander und möglichst synchron, wie in einer Tanz-Revue aus den 1940er Jahren. Wenn sie Umdrehung für Umdrehung das Spektakulum steigern, indem sie hundertfach flammende heilige Lampen zücken und dicke Weihrauchwolken abblasen wie Dampferschornsteine. Alles immer neunfach und gleichzeitig, und weil niemand die heiligen Kühe schimpfen darf, nehmen dieselben sich, Männlein wie Weiblein alle Freiheiten und spazieren ganz unverfroren durch die dichten Zuschauerreihen, auf den großzügigen Freitreppen, den Badeplattformen und einfach überall. Wo sie herbeigetrottet kommen, entsteht Unruhe. Saris und Herren-Röcke werden gerafft, Kinder gepackt und sorgsam fortgerissen, die Einweg-Tonschälchen mit dem Masala-Chai hastig geleert. Panik bricht spätestens dann aus, wenn ein Bulle zeigen will, was er drauf hat, und zu brunzen beginnt, und zwar mit Schmackes. Ein Pissefall plätschert dann die Stufen abwärts, niemand folgt mehr der Zeremonie, nur auf den Schiffen sind die Gläubigen noch ganz bei der Sache, da Kühe nur extrem selten zum Pissen ins Wasser gehen. Vielleicht ist es ihnen im Fluss einfach zu schmutzig. Eine ganze Armada hölzerner Ruderboote drängt sich in engem Bogen um die neunfaltige Kultstätte auf der Plattform über dem Ufer, die Boote bis zum Kentern mit Pilgern vollgestopft, die das gold-glitzernde Gezappel inbrünstig bestaunen.
Die schräge Harmonium-Musik kommt vom Band, was spätestens dann zu Tage tritt, als der Strom ausfällt und der ganze Ghat mitsamt fünftausend Menschen ein paar Minuten lang im Finsteren hockt, bis einer das baufällige Kernkraftwerk wieder angeschmissen hat. Nur die tausendfingrigen Kerzenbäume glitzern ganz zauberhaft in der schwarzen Nacht, auf den Ältaren und in den kleinen Wachspapierschälchen, die unaufhörlich flussabwärts treiben. Und nur noch die zwei-drei Dutzend Glocken scheppern, die von fanatischen Glöcknern geschwungen werden, als ginge es um die Aufrechterhaltung der Erddrehung als solcher, immer zwei Glocken an einem Seil, ein nie versiegender Lärmteppich, der majestätisch über dem unkonzentrierten Plappern und Keifen der knackig gepackten Menge schwebt.
Solch einen Auftakt könnte ich mir ja auch in Nürnberg vorstellen, bloß dann halt im Sommer, damit es die halbnackten Gurus nicht zu arg friert, bei unter 35 Grad, und damit die Kühe frisches Gras finden, zum Beispiel auf der Verkehrsinsel in Gostenhof, gleich vor dem Cafe Regina. Ich werde diese Idee dem innerbetrieblichen Vorschlagswesen des Egersdörferschen Imperiums zur wohlwollenden Begutachtung unterbreiten.
El Mago Masin muss sich als erster Gast des Abends dem unerbittlichen Mob stellen – wie aus Kalksandstein getöpfert steht er vor meinem inneren Auge, ein Riese – inwendig als auch seine irdische Hülle. Einst Adept der Show, heute selbst ein Sadhu, zu dem die Menschen aufschauen, um über ihn zu lachen. Er wird im Laufe des Abends sogar den Gastgeber zum Tanzen bringen. Wir alle wissen, dass Matthias E. ein begnadeter Tanzbär ist, welchem himmlische Mächte die Gabe des Alphabets verliehen haben, so dass er sich exakt 10 Jahre, nachdem er sich zum ersten Mal der mordlüsternen Meute einer zahlenden Zuschauerschaft auslieferte, beim durchaus dämlichen Hepatitis-ABCDEusw.-Song zum Deppen macht. Zunächst jedoch erzählt der El Mago davon, wie er Erlenstegen auf der Suche nach einem Ersatzinstrument unsicher machte, da er seine Gitarre ganz professionell in Mainz verschusselt habe, und von der Beatles-Coverband, in der er viele Jahre gespielt hätte, um technische Probleme zu vertuschen. Aber die verursachte im großen Festsaal nicht Andi, der Mann an der Soundtechnik, der an all den vorangegangenen Abenden makellose Klänge produziert hatte. Die Technik reagiert nahezu indisch – erst versagt sie ohne sichtbaren Grund, erholt sich aber bald scheinbar wie von selbst.
Masins „Eckbert“ ist ein wunderschönes Lied - dank Lennon und/oder McCartney. Der Text allerdings könnte auch einer der schwächeren von Gymmick sein, wenn dem nix anderes einfällt als Saufen, Kotzen und Kopfschmerzen. Recht hektisch springt Masin weiter durch die Klaviatur des wohltemperierten Wortspiels, von Blindenhund zu Katzenallergie. Danach erst wird’s halbwegs akzeptabel, im Dialog mit Ex-Freundin Andrea im Publikum und mit einer Hommage an Reinhard Meys „Annabelle“, in der Ökovariante des 21. Jahrhunderts mit Achselhaaren und Kirschkernkissen.
Der Meister himself fährt im Programm fort, er bramarbasiert, sich selbst immer näher an die rote Linie manövrierend, hinter der er selbst betroffen wäre, sprich: über Haarverlust und Restfrisur-Inseln. Ganz jovial erwägt Ma.Eg., nur aus lauter Überdruss in die Hosen zu brunzen, denn er mag es, wenn die Bude lediglich schlecht gefüllt ist, mit Leuten, die nur mühevoll Applaus spenden und denen der Verdruss in die miesgelaunte Fresse geschrieben ist.
Nun – für den nächsten Künstler, der eigens den weiten Weg aus Berlin gemacht hat, wird frenetisch geklatscht, obwohl wir noch überhaupt nichts wissen über Burkhard Bering, außer, dass Matthias E. selbst wie ein regelrechter Idiot über die Videos des Kollegen lachen habe müssen - passend zum Remmidemmi im Untergeschoss – mit einer neuartigen Kunstform namens „gesprochenen Punk“, dessen einziges Instrument die Handpuppe ist, welche Bering nach Vorbildern aus selbstverfertigten Comics gestaltet (natürlich damit kokettierend, es nie gelernt zu haben). Er steigt ein mit ein paar Kalauern in der Tradition Heinz Erhards, ehe er eine wirklich hübsche Miniatur über Vorder-, Hinter- und Kellerhaus vom ganzen Stück hobelt. Mir dünkt er beim ersten Hören ein klassischer Witzbastler zu sein, mit einem ganz charakteristischen Buben-Stimmchen, gewiss ein Freund des vertrackten Reimes und somit ein Enkel Ottos, Loriots und Helge Schneiders zugleich – denn Komiker können bekanntlich weit mehr als zwei Großväter haben. Bering suhlt sich leider auch in Hundedreck und lässt nicht einmal die Hitler-Persiflage aus. So sehr ich es auch bedauere – richtig vieles, welches wir nicht schon deutlich mehr als zehn Mal von anderer Seite vorgekaut bekommen hätten, war da nicht dabei.
Der Berichterstatter spürte morgens, am Mittwoch, nicht einmal seinen eigenen Schädel, vielmehr fühlte dieser sich an, wie ein ausgeblasenes Ei, und seine unendliche Schlaffheit überwindend, warf er sich auf die andere Seite seines malträtierten Leibes und schlief sofort vier weitere Stunden, ehe er den Fuß aus dem Bett streckte. Der Monsun hatte den Himmel mit den ersten Ankündigungen in Grau auf Grau plakatiert, der Luftdruck spielte mit seinem Kreislauf „außer Kontrolle geratenes Kettenkarussell“. Es gab nur noch eine Gewissheit für das Leben dieses Tages: es würde regnen, und zwar heftig. Umso heilbringender legten sich die Stimmen aus dem fernen Europa von beiden Seiten um den waidwunden Kopf.
Martin Puntigam, angereist aus Wien und nicht aus Berlin, war ja schon einmal zu Gast beim Egersdörfer gewesen, und er erinnert sich prompt wollüstern an die Schlosserei des Meister Robrock. Puntigam berichtet von seiner ersten Scheidung, und es liegt wahrscheinlich daran, dass in meinen bundesdeutschen Ohren Aussprache und Tonfall Puntigams die eine oder andere Reminiszenz an Josef Hader wecken. Hat letzterer nicht auch eine Nummer über seine Scheidung im Gepäck? Ein reichhaltiges Thema, so eine Scheidung, klar: ein reicher Quell der Tabubrüche, da das Eheleben so mördermäßig mit Intimität gesegnet ist. Doch in Puntigams Vortrag ist konsequenter Weise kaum etwas absolut überrumpelnd, vielmehr vieles vorhersehbar, und auch das Verdauungsprodukt des Hundes kommt zur Sprache, als ging heutzutage gar nichts mehr ohne jene widerlichen Häufchen. Möglicher Weise eine ganz natürliche Reaktion moderner Kunst und Kultur auf die ganz unangenehme und ungebremste Ausbreitung sinnentleerter Hundshaltung.
Mir persönlich am besten gefiel dann die Familienepisode von Großmutter und Großvater, dem SS-Offizier und der Widerstandskämpferin. Hier beweist Puntigam seinen Mut, hier tritt er hinaus auf einen wackeligen Balkon ohne Geländer und Sicherungsseil – als wirklich ingeniös möchte ich den Kopfweh-Fetisch beim Sex bezeichnen, und das Anton-Syndrom werde ich in meine Abteilung des unnützen Wissens übernehmen. Und obwohl ich ja grundsätzlich Katzen freundlich gesonnen bin, amüsierte ich mich auch über die Beschimpfung der Felidae ganz großartig. Einer der ganz Großen, das ist der bissige Österreicher meines Erachtens zweifelsohne. Nicht zuletzt im Interview mit dem traumhaft geschickt vorgehenden Matthi. Egersd. eweist Puntigam seine Befähigung. Sein Kamm schwillt, seine Eitelkeit tropft auf die Bühnenbretter, und stolz berichtet er von der brutalen Dressur zweier Österreichischer Physiker, mit denen er das vielgerühmte Wissenschaftsprogramm der Science Busters auf entsprechend sechs Beine stellte.
Egersdörfer vergisst anschließend nicht die Merksport-Aufgabe des Abends zu stellen, und zwar einer überaus sympathisch wirkenden Frau, die den Test am Ende der Show spielend besteht: Martin Puntigam und die Science Busters treten am 11. und 12. April im Gostener Hoftheater zu Nürnberg auf. Wieder einmal werden zwei Kopfnüsse nicht verteilt. Schade.
Tropisch warmer Regen, als liefe dort oben der Whirlpool einer Gottheit über, peitscht auf mürbe Dächer und müde Pilger. Dicke Schichten monatelang festgetretener Kuhscheiße saugen gierig die Flüssigkeit in sich auf, werden weich und weicher, zerfließen in braunen Schlamm, der die Gassen vorwärts kriecht, ohne Plan und Ziel, außer vielleicht zwischen den nackten Zehen der unzähligen Pilger hervor zu quellen, und aus Schlendern wird Schlittern. Eine metafüßische Erfahrung, wenn dieser Scherz erlaubt sei.
Da es prinzipiell keine Gasse gibt, die zu eng wäre, um mit einem Moped bei höchster Geschwindigkeit hindurch zu brausen, schrillen die gewohnten tödlich-atomaren Hupenschreie von links und rechts, von vorne und von hinten, um wiederum von den Kühen geflissentlich ignoriert zu werden, so dass so mancher Pilot mit dem Hinterrad auf der dünnflüssigen Kacke ausgleitet. So manche nordindische Schönheit hat nun ihrerseits Gelegenheit, Grazie beim Rettungssprung aus dem Damensitz unter Beweis zu stellen, während der wagemutige Lenker an das pralle Hinterteil eines viermagigen Blumenvertilgers rumpelbummst.
Rein musikalisch stand die Nürnberger Veranstaltung der südasiatischen in Nichts nach. Die stadtbekannte Radau-Band „Jet Legs“ befüllte den Klangraum, ganz gekonnt live schraddelnd, vermutlich die neue Single-Auskopplung, mit vorne drauf: „Fool yourself“ und auf der Rückseite gleich zwei Kracher: „Devil in my head“ und „Hey you!“ – und wie auch immer sie daherkamen, so schlimm können deutsche Steuerzahler gar nicht aussehen, wie die halbnackten Derwische am Ganga. Anständiger Rock'n'Roll, das ist das, beim Plattenkauf garantiert eine ordentliche Portion gutes Karma inklusive, und wer genau aufgepasst hat, wertschätzt schon seit Jahren die ganz hervorragenden Jet-Lag-Sticker auf den Klos der Nürnberger Vergnügungseinrichtungen wie dem Komm oder dem Palmengarten. Wenn nicht: das nächste Mal Augen auf beim Wasserlauf!
Auch das Zusammenleben der Menschen, beispielsweise zweier so liebevoller Gatten wie Egers und seiner Carmen, ist Thema, ein ganz zentrales sogar, weil direkt zur Klimax der Show aufs Tablett gehievt, gleich zu Beginn des zweiten Vorlesungsabschnitts. Man möchte schon fast davon sprechen, dass der multilateral begabte wahlfürther Geisteskoloss sich aufmacht, die hohe Kunst der Familientherapie zu revolutionieren. Dringend notwendig wäre es ja, denn seit John F. Kennedy's großem Ehe-Dekonstruktionsprogramm, das leider im Mondschatten des Apollo-Programms etwas unbemerkter blieb, ist auf diesem Gebiet keinerlei Fortschritt gemacht worden.
Die gute Gattin des Maestros ist dabei wieder einmal angezogen wie ein böser Finger, und Matthias E. erfasst messerscharf die globalen Zusammenhänge, denn irgendwo müssen sie landen, die Altkleider, die wir brav in die Altkleidersammelkisten werfen, und weil im ewigen Strudel des Lebens nichts verloren geht und nichts verziehen wird, stehen sie plötzlich wieder vor uns, die grauenvollsten Klamotten, die je eine Epoche der geistigen Umnachtung hervorbrachte, so grauenvoll, dass nicht einmal die kastenlosen Leichenzerkleinerungs-Paria an den hinduistischen Verbrennungsplätzen sie auf Arbeit tragen würden.
Wir erfahren, dass Madame aller Erwartung widersprechend früher sogar so etwas wie einer geregelten Arbeit nachging, im Hugendubel nämlich, aber freilich im Lager, weil völlig ungeeignet im Verkauf, wegen Pusteln oder Geruch oder so. Dann: Hugendubel zu, Carmen arbeitslos. Es bleibt nichts als Hartz 4, und das reicht maximal für ein langes Wochenende, wenn sich Egers ordentlich einen hinter die Binde kippen will. Mehr ist da einfach nicht drin. Selber zu arbeiten macht für ihn keinen Sinn, er ist sowohl zu hoch qualifiziert als auch zu gutaussehend, um für 6 Euro 50 vierzehn Stunden am Tag Steinplatten beim Landschaftsarchitekten zu schleppen. Wenngleich gerade solche Arbeiten zumindest den Berichterstatter sehr glücklich machen können. Welchen Ausweg gäbe es denn da überhaupt noch? Vielleicht Schlangen beschwören oder aus Totenschädeln die Vergangenheit lesen? Oder einfach herumhängen, mit dem Gruber unter dem Banyanbaum sitzen und das Scheißwunder von Gruberschen Hund bewundern? Über die Ausschweifung, die dann folgte, möchte man gar nicht viel Worte verlieren – nur so viel: Carmen ist eine Frau, Gruber hat Ganzkörper-Schuppenflechte, maximale Sexualnot - und eine stattliche Beamtenrente. Immerhin lernen wir fundamental nützliches Wissen: den Begriff Hans-Albers-Kuss war bis vor Kurzem in ganz Indien unbekannt, doch seit Dienstag Abend ist alles anders und der Ganges füllt sich derzeit rasch mit Sperma, das sich auf Carmens Zunge mit den Cornflakes-artigen Hautschuppen des Gruberschen Schw… nein, hier muss jede Nacherzählung verstummen, hier muss man Ohrenzeuge gewesen sein. Alle Hochachtung jedenfalls, Frau Schulz, Sie haben versautes Neuland betreten, und das will im Jahre Sex nach Charlotte Roche etwas heißen.
Und während hinter der Bühne Martin Puntigam noch schnell den Vorschuss auf seine Gage in Carmens Geschlechtsorgane steckt, stellt sich El Mago Masin, ausgerechnet (man bemerke den Gebrauch ausgerechnet des Wortes „ausgerechnet“) am Abend seines eigenen 15-jährigen Bühnenjubiläums, dem jetzt sexuell maximal angespannten Publikum, welches mit triefenden Höschen und prall aufgepumpten Penissen unruhig über die Sitzflächen schabt – nicht wirklich die einfachste Aufgabe, die wir kennen, sondern eher vergleichbar mit dem Versuch, auf einem indischen Fernbahnhof die Anzeige zu Bahnsteig und Abfahrtzeit des ersehnten Zuges aus einem fehlerhaften Sanskrit ins Deutsche zu übertragen, während einem an jedem Hosenbein gleichzeitig drei arm- und beinlose Bettler auf Rollbrettern mit den Zähnen zerren und der Bahnhofsvorsteher mit seinem Bahnhofsvorsteherknüppel eine Horde Strauchdiebe davon abhält, die Koffer zu vierteilen und sämtliche Gepäckpartikel durch die omnipräsenten knietiefen Mülldünen zu schleifen.
El Mago meistert die Herausforderung, er wirkt wie eine Schale dampfenden Chais – köstlich frisch gleichwie erfrischend, alle Unbilden dieser Welt mit einem Streich des Fliegenwedels in alle Winde zerstreuend. Bei immerhin 444 heiligen Windrichtungen eine Heldentat, die alles andere als dadurch geschmälert wird, dass die Technik etwas hakt, während E.M.M. vom Tupaware-Dildo säuselt. Der tote Fuchs im Regen gefällt mir natürlich verwandtschaftstechnisch überhaupt nicht, aber dafür kann der Barde mit den verlausten Zotteln und den miesen Zoten selbstverständlich nicht im Mindesten. Ahahahaha.
Über die Stadtgrenze hergewagt, jung, schön und talentiert – Natalie Deligt beschenkt das derer absolut unwürdige Publikum mit ihrer filigran ziselierten Prosa. Ein Bewerbungsschreiben bringt sie zum Vortrage, beim Ministerium zur Pflege von Heimat, Anstandsverwahrlosung und Psychosomatik im Kompetenzteam Ignoranz. Wie immer komplex, anspruchsvoll und so feinsinnig, dass Deligts Text nicht mit Brüllen und Schenkelschmettern rezipiert werden darf, sondern mit heiterem Nicken und intellektueller Erhebung. Das „Mission Statement“ der Firma Monsanto, welche Deligt vorträgt, ist angesichts der menschenverachtenden Verbrechen dieser Oberarschloch-Firma pure Satire, und der Dichterin kann dafür kaum genug gedankt werden.
Burkhard Berings zweites Erscheinen ist mit einer gewissen Spannung verbunden, ob denn der Künstler nicht längst den Schauplatz dieser nie zu bewältigenden Ereignisse verlassen habe. Er deliriert, faselt in Reimen, dichtet wie besoffen, ein Rapper, der jeglichen Rhythmus und alle Polyphonik als durchaus überflüssig begriffen hat – kurze Eindrücke aus dem Miljöh, typisch Berlin, schon alleine deswegen lustig, hahaha, und weil der Bering so 'nen lustigen Berliner Dialekt oder Akzent oder so spricht, und dann driftet das Ding ab, in unterirdische Kacka-Blödelei, mit viel gegröhlter Scheiße, jaulenden Hundehaufen – dem Puppenspiel und des Mannes Schlagfertigkeit sei alle Ehre und Lobpreisung, zum koprophilen Inhalt jedoch kann zumindest ich nichts weiteres hinzufügen als das, was Bering schon selbst sagt: „shit happens“.
Im Interview mit Bering geht Egersdörfer dem Thema nach, das ihn stets umtreibt, die Eltern, die Familie. Bering gibt ein paar Einblicke in die Brutstätte, welcher er entschlüpft und die erbaut ward von einer nicht-häkelnden Mutter und einem Verse schmiedenden Vater, die beide des Sohnes Treiben offenbar wohlwollend begleiten. Ein in jeder Hinsicht versöhnlicher Abschluss, der uns hoffnungsfroh stimmt, dass der Bursche noch zu einem respektablen Poeten des Humoresken heranreifen mag.
Global betrachtet beweist, so meine ganz bescheidene Einschätzung, das bunte Konglomerat, dass es eben doch weitaus mehr Themen gibt, aus denen sich der witzige Saft der Erkenntnis pressen lässt, als bloß Hundekot und Eheleben. Allen voran der Gastgeber demonstrierte es uns, indem er sich in einer überaus tragikomischen Wehmut über nie mehr wiederkehrende kindliche Zündelei verlor.
Doch nun naht auch schon die Spitze des Abends, und während auch der indische Zirkus endgültig implodiert und sich selbst in tausenderlei privater Zeremonien desintegriert, quasi in der trockenen Luft des Abends versickert, kulminiert das abendländische Treiben wie in einem Brennglas innert weniger 20 Sekunden, die es braucht, um den Vogel abzuschießen: der Moment des – Obacht! - gespielten Witzes ist gekommen. Wieder mit allem drum und dran: Blasen, Ficken, Bumsen, von vorne und von hinten und einer halbierten Leiche neben der Bahnlinie. Ein wahrhaft würdiger Abschluss – was soll man da noch sagen? Außer vielleicht: es wurde definitiv an der Transzendenz gekratzt, hier wie dort: am heiligen Ganges wie im altehrwürdigen Gemäuer der früheren pädagogischen Hochschule zu Nürnberg. Es fällt schwer zu glauben, dass irgendjemand die Warterei aushält, die zwischen dem Jetzt und der nächsten Show ausgestanden sein will, wie eine Bahnfahrt zwischen Kanpur und Jodhpur.
Das Datum jedenfalls steht fest: 8. April 2014, same time – same place. Und wer nicht total verkommen und endgültig verroht ist, wird sich einfinden, erneut die tausendköpfige Brillanz des Geistes zu feiern mit einem - um so miserabler rasierten, als der Haarwuchs auf seinem Kopf sich immer bescheidener ausnimmt - Obersupermeister M.K.F. Egersdörfer und seiner wundervoll buckligen Verwandtschaft.